Freitag, 28. August 2015

Lektion in Demut, Danke Sophie Hunger!



Heute spielt Sophie Hunger im Berghain. Das Ganze im Rahmen eines Festivals. Eingebettet wird jetzt ja alles. 2010 hat Frau Hunger mit einem Auftritt mir eine wichtige Lektion erteilt. Der folgende Text erschien damals im Blank Magazin:

Im Dezember bei Sido war es hier nicht so voll. Und nicht so schön. Siebenundzwanzigster Mai. Astra Berlin. Viele Brillen. Viele Grüppchen aus drei oder vier Frauen. Auszüge eines Indie-Publikums. Radio-Fritz oder MotorFM-Hörer. Selten stilsicher, heute abend jedoch zielsicher am richtigen Ort. Der Schlagzeuger einer deutschen Indie-Band humpelt mit Gips und Krücken vorbei. Respekt. Auf dem Immergut musste der Sänger deshalb wahrscheinlich Geschichten lesen. Dann Sophie Hunger. Alles stimmt. Licht. Sound. Die begleitenden Musiker. Alles schlicht, zurückhaltend, alles um Fräulein Hunger kreisend. Man fühlt sich schlecht und gut. Man fühlt sich ertappt und ausgeleuchtet. Die intime Unnahrbarkeit ihrer Bühnenpräsenz macht einen still und starr staunend. Man fängt an zu ahnen warum man doch erst einmal hier und noch nicht beim heute stattfindenden Mitte-Szene-Event mit Lykke Li ist. Da wo alle sind. Die ganzen Kontakte. Das Geld. Es treibt an. Es zieht weg. Die alte Angst etwas zu verpassen oder Gruppenzwang oder, wie man auch öfters sagt: Biz. Nach nicht mehr als fünf Songs machen wir uns auf.

Zehn Minuten Taxi in eine andere Welt, der Empfang, die Gästeliste, das weitläufig hergemachte Ambiente; das Raumkonzept aus großen Quadern, die labyrinthisch angeordnet den Weg zu Bar, Bühne und Präsentationsfläche weisen. Dort steht ein Auto. Ab und an setzt sich jemand rein. Ab und an poliert jemand die Fingerabdrücke weg. Ab und an trifft man jemanden, den man nicht scheiße findet. Es gibt Whiskey Sour: Bourbon, Zitronensaft, Limette und Zuckersirup. Keine Ahnung was drin ist. Und Wieviel. Er schmeckt etwas sauer. Doch es gibt auch Bier. An einer anderen Bar. Näher am neuen Volvo. Ich glaube er war weinrot. Eine Art von Weinrot. Ich mag Volvo. Lykke Li war schon auf der Bühne. Drei Songs. Jemand sagt es waren mindestens gefühlte sechs Songs. Egal. Weit nach Mitternacht kommt sie nochmal auf die Bühne. Für gefühlte zwei Songs. Ein paar Beats. Ein bisschen posieren. Ist ja gut, wir haben verstanden. Heute keine Burka als Bühnenshowelement? Das ist der Gegenentwurf. Schnöder Hype. Für eine Entscheidung und Tat wie die meine, an diesem Abend, für diesen Akt der Verweigerung zugunsten schnöder Dekadenz und konsumistischer Beliebigkeit, wird man in anderen Kulturen erschossen. Nochmal Glück gehabt. Schämen und lernen!

Foto, wie in diesen Jahren damals quasi fast immer: Matthias David. Volvo wurde mittlerweile chinesisch, Lykke Li zu einem One-Hit-Wonder und das Astra Teil einer No-Go-Area. Was eine verrückte Welt. Sophie Hunger macht nach wie vor wundervolle Musik.